Yuval Noah Harari - 21 Lektionen für das 21. Jahrhundert

Yuval Noah Harari - 21 Lektionen für das 21. Jahrhundert - C.H.Beck - erschienen 18.09.2018 - Seitanzahl Printversion: 459



Dies ist das dritte Buch von einem der aktuell bekanntesten Historiker der Gegenwart. Für mich faszinierend sind die Analysen des Autors, die recht genau die weitreichenden Entwicklungen der Menschheit mit ihren Vorstellungen, Zielen, Fehlern und Eigenheiten beschreiben und damit sehr zum Nachdenken über die Welt, in der wir leben, anregen. 

Harari lehrt zur Zeit an der Hebrew University in Jerusalem mit dem Schwerpunkt auf Weltgeschichte (sehr interessant!). Dies spiegelt sich auch in seinen Büchern wider; sein letztes mit dem Titel "Homo Deus - Eine Geschichte von Morgen" (meine Rezension hierzu folgt natürlich noch) hat versucht zu zeigen, welche Perspektiven in naher und ferner Zukunft auf uns zukommen könnten (Schlagwörter: Dataismus und Biotechnologie) und damit unser bisherigen selbstverständlichen Gewissheiten ganz schön ins Wanken bringen können. 

Doch nun zum Buch. Meiner Meinung nach ist der Titel etwas seltsam gewählt. Das Wort "Lektionen" lässt vermuten, dass eine Art von Lehrstücken von jemanden, der gesichertes Wissen über eine Sache vermitteln will, damit gemeint sind. Doch es handelt sich um Denkanstöße und mögliche  (trotzdem hypothetische) Zukunftsentwicklungen, die hier skizziert werden und um keine gesicherten Fakten. Das ist jedoch für den Inhalt des Buches nicht weiter von Belang.

Die 21 Lektionen bzw. Kapitel sollen für sich genommen die einzelnen Aspekte, die der Autor in der Gegenwart für relevant betrachtet, beschreiben.
Ein Kapitel behandelt den Begriff der Freiheit mit einer ersten Analyse zur aktuellen Situation. Dabei geht Harari darauf ein, dass in der liberalen Vorstellung jeder Mensch als Individuum frei ist. Die Demokratie ist auf die Meinung und Ansichten und auch Gefühle jedes einzelnen freien Bürgers angewiesen und muss diese respektieren. Ein Beispiel ist der "Brexit", bei dem über ein Referendum der Ausstieg von Großbritannien aus der EU durch die Wähler herbeigeführt wurde. Dabei spielte es keine Rolle, ob jeder Wähler rational und mit Kenntnis aller Fakten seine freie Entscheidung trifft, sondern der Wähler entscheidet mitunter auch nur durch sein Gefühl. In der Demokratie wird jedoch auch das Gefühl eines jeden Menschen und damit seine freie Entscheidung ernst genommen.

Doch das kann sich in Zukunft ändern. Grund dafür dürfte die künstliche Intelligenz mit immer besseren Algorithmen sein. Es besteht die Chance (oder Gefahr), dass irgendwann ein Algorithmus bessere Entscheidungen für uns Menschen in sämtlichen Lebensbereichen treffen kann. Warum sollte man auf die unzureichenden Gefühle und kognitiven Begrenzungen von Menschen bei der Entscheidungsfindung zu wichtigen Problemen hören, wenn ein Algorithmus dies mit einer viel geringeren Fehlerquote und einer genaueren Einschätzung unseres Selbst kann? Was ist, wenn man als Mensch gar nicht mehr in der Lage sein wird, sinnvoll eigene Entscheidungen zu treffen, weil es viel zu risikoreich oder zu unsicher wäre, nicht auf Algorithmen zu hören (z.B. bei der Wahl von Berufen, Partnern oder Behandlungsmethoden von Krankheiten)? Wir würden aus Vernunftgründen und ohne Zwang unsere Freiheit aufgeben wollen.
Damit die Algorithmen bei Entscheidungen besser als Menschen werden, müssen sie mit den Daten (z.B. biometrische) versorgt werden um sich durch maschinelles Lernen fortzuentwickeln.
Diese Entwicklung könnte durch Big Data sogar soweit gehen, dass die Algorithmen von einzelnen Personen beherrscht werden können, die mit wenigen Mitteln eine große Masse von Menschen analysieren und manipulieren könnte. Harari zieht dabei sogar die Parallele zu dem Buch "1984" von George Orwell.

Dies war ein kurzer Abriss des einen Kapitels von ganzen 21, die alle sehr anregend aktuelle Themen und Entwicklungen aufgreifen und analysieren. Natürlich würde es den Rahmen dieses Posts übersteigen, über jedes Kapitel etwas zu schreiben, aber zu einigen möchte ich noch kurz interessante Schlussfolgerungen des Buches darstellen.

Im Kapitel Arbeit stehen auch die Algorithmen im Vordergrund. Hier wird die Gefahr von Arbeitslosigkeit durch die Übernahme von Tätigkeiten durch künstliche Intelligenz beschrieben. Anders als die bisherigen technischen Neuerungen, bei denen auch immer neue Arbeitsplätze in anderen Bereichen entstanden sind, könnte es diesmal anders sein.

Harari hat auch das polarisierende Thema der Zuwanderung/Migration mit aufgenommen. Hierbei versucht er darzustellen, dass dieses Thema aus verschiedenen Teilproblemen besteht, die bei Diskussionen auseinander gehalten werden sollten. Eine einfache Lösung gibt es nicht, der Weg über Kompromisslösungen wird als einzig zielführend angesehen.

Im vorletzten Kapitel geht es über den Sinn der Menschen. Dabei stellt der Autor fest, dass Menschen immer eine Geschichte brauchen (z.B. Religion), an der sie sich festhalten können. D.h. der Mensch schafft sich selbst Bedeutung in einer Welt, die eigentlich keine besitzt. Das klappt umso besser, je mehr Opfer jemand für eine Sache geben muss oder je mehr Verbindungen zum Alltag (z.B. durch Rituale und Traditionen) bestehen. Dabei ist nur wichtig, das die Geschichte einem jeden eine Rolle in der Welt gibt und den eigenen (Lebens-)Horizont übersteigt.

Fazit: Es ist wirklich interessant, dieses Buch zu lesen, da es die meisten aktuellen Probleme und Entwicklungen aufgreift und analysiert. Die Absicht des Autors war, dass etwas Klarheit über die drängenden Fragen der Gegenwart entsteht, um jeden in die Lage zu versetzen, selbst mitzubestimmen und zu entscheiden. Jeder sollte die möglichen Gefahren von neuer Technik kennen und die globalen Zusammenhänge verstehen und auch die Schwächen der Menschheit vor Augen haben. Meiner Meinung nach wird das Ziel Autors auf jeden Fall erreicht. Das Buch enthält wirklich viele anregende Gedanken, über die es sich lohnt nachzudenken.





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