Sigmund Freud - Peter-André Alt

Peter-André Alt - Sigmund Freud; C.H.Beck, erschienen 19.09.2016, Printausgabe 1036 Seiten

Wer heutzutage an Psychologen/Psychiater denkt, hat meistens ein ganz bestimmtes Bild im Kopf. Der Patient liegt auf einer Couch und erzählt von seinem Leben und der Arzt sitzt daneben und macht sich Notizen und versucht durch Analysen und Dialoge zu helfen. Schuld daran ist eine bestimmte Person, die vor mehr als 100 Jahren diese Methode erfand, und zwar Sigmund Freud (1856-1939). Er ist immer noch der bekannteste Psychologe der Welt und hat diese Art von Behandlung erst bekannt gemacht. Wer wissen will, wie es dazu kam, sollte diese Biografie lesen.

Jugend
Der Werdegang von Freud war zumindest nach seiner Schulzeit, in der er ein Musterschüler und mit Bestnoten sein Abitur abgeschlossen hat, alles andere als ein einfacher und direkter Weg hin zu seinen späteren Erfolgen. Er studierte zwar Medizin, war aber ziemlich ungeeignet (weil untalentiert) in vielen praktischen klinischen Tätigkeiten. Freud war vor allem ein Theoretiker mit einem breiten Interessensgebiet, vor allem auch Philosophie und die römische Antike (später hat er eine sehr ausgedehnte Sammlung von antiken Büsten jeglicher Art, die er in seiner Praxis gern um sich hatte). Bei seinem Studium kam ihm vor allem auch sein fotografisches Gedächtnis, mit dem er vieles wortgenau und auch noch Jahre später wiedergeben konnte, zu gute.

Kokain und Zigarrren
Überraschend und skurril aus heutiger Sicht ist, dass Freud eingehende Studien über Kokain durchgeführt und auch eine recht lange Zeit selbst eingenommen hat. Durch die stimulierende und aufputschende Wirkung konnte Freud nach eigenen Aussagen sich besser konzentrieren und länger arbeiten. Damals war die Droge noch recht unbekannt und das Suchtpotenzial sowie die körperlichen Folgen wurden unterschätzt. Freud verfasste sogar den veröffentlichten Aufsatz "Ueber Coca" und war von heilenden Wirkungen überzeugt. Vermutlich war Freud selbst eine Zeit lang abhängig.
Eine Angewohnheit oder Abhängigkeit, die er bis zu letzt nicht ablegen wollte und konnte, war das Zigarrenrauchen (siehe auch Titelbild oben). Er rauchte sie täglich und in großer Anzahl. Im Alter führte das jedoch dazu, dass sich im Gaumen Krebs gebildet hatte und viele Operationen nötig waren, die ihn stark u.a. auch beim Sprechen einschränkten. Die Zigarre wurde dadurch aber sein Markenzeichen.

Die Wissenschaft von Freud (oder der sexuelle Trieb beherrscht alles)
Doch wie wurde Freud eigentlich so berühmt, dass jeder ihn kennt?
Freud hat durch Selbstreflektion und Analyse seiner Kindheit so einiges über sich herausgefunden. So zum Beispiel auch den sogenannten Ödipus-Komplex. Denn Freud hatte früh wohl auch sexuelle Gefühle/Regungen gegenüber seiner Mutter entwickelt und sah den Vater als Rivalen an (in der Biografie wird auch angedeutet, dass Freud mit dem damaligen Kindermädchen sexuelle Erfahrungen gesammelt und eventuell sogar missbraucht wurde). Der Ödipus-Komplex wurde einer von Freuds späteren Diagnosen bei seinen Patienten.

Schlagartig berühmt wurde Freud mit seinem im Jahre 1900 veröffentlichten Werk "Die Traumdeutung". Durch die Erfahrung seiner eigenen Träume wollte Freud ein System von Auslegungen von bestimmten Trauminhalten, die wiederum auf bestimmte psychische Leiden oder Verdrängungen/Übertragungen hinweisen können, aufbauen. Mit der Traumdeutung versuchte er, die Träume, die bis dahin eher spirituell oder religös gedeutet wurden, als ein rein weltlichen Spiegel der jeweiligen Psyche darzustellen und durch sein Deutungssystem der Wissenschaft zugänglich zu machen. Freud wurde damit der erste moderne Wissenschaftler, der das Unbewusste kartografieren wollte. Dies wurde später auch durch seine berühmte Einteilung der Psyche in "ES", "ICH" und "ÜBERICH", bei dem das "ES" im Sinne des Unbewussten mit samt den sexuellen Trieben einen viel größeren Teil einnimmt und das "ICH" als Bewusstsein quasi nur die Spitze des Eisbergs darstellt, deutlich. Freud hat damit die Illussion zerstört, dass der Mensch mit seinem Verstand und Bewusstsein der "Herr im Haus" ist und nur nach seinem freien Willen entscheidet.

Die Psychoanalyse ist die zentrale Theorie und Therapieform von Freud. Im Gegensatz zu den damaligen Behandlungsmethoden von Hysterie (ein Sammelbegriff für alle möglichen psychischen Störungen), bei denen z.B. mit Hypnose und Beobachtung gearbeitet wurde, wird bei der Psychoanalyse der Patient und seine Gedanken und Beschreibungen in den Mittelpunkt gestellt. Dafür ist es notwendig, dass der Patient total offen und ehrlich über jegliche Erfahrungen spricht und im Dialog mit dem Therapeuten auf die Probleme hinarbeitet und versucht diese zu lösen. Die Patienten sollten regelmäßig zu diesen Sitzungen erscheinen und der Therapeut macht sich laufend Aufzeichnungen über die Gespräche und analysiert diese. Bei Freud hat sich durch die Erfahrungen aus den vielen Sitzungen häufig die Erkenntnis durchgesetzt, das der sexuelle Trieb, der nicht richtig ausgelebt oder unterdrückt wurde, für sonstige psychische Störungen, körperliche Leiden oder Übertragungen verantwortlich ist.
Die Psychoanalyse wurde von Freud jedoch nicht als ein Allheilmittel in der Psychatrie gesehen, sondern konnte nur bei Neurosen, nicht bei Psychosen (hierbei ist der Patient nicht mehr in der Lage, über seine Erfahrungen und Leiden zu sprechen) angewandt werden. Daneben verlangte Freud auch ein recht hohes Honorar, also war es nur den reicheren Leuten vorbehalten. In der Wissenschaft hat sich durch die einseitige Ausrichtung auf den sexuellen Trieb die Psychoanalyse nach Freuds Schema nie vollkommen durchgesetzt. Noch heute ist diese Therapieform umstritten.

Fazit
Diese Biografie gibt einen guten Einblick in das Leben, die zeitlichen Hintergründe und das Werk von Freud. Es wird aufgezeigt, warum Freud bis heute noch so bekannt ist. Durch sein breites Interessengebiet und seine eingänglichen Schriften auch im Kulturbereich (er versuchte die Psychoanalyse auf Figuren in Romanen anzuwenden!) und sein streitbares aber auch inspirierendes wissenschaftliche Werk für viele nachfolgende Wissenschaftler, war er eine sehr bedeutende Persönlichkeit. Das Buch hat zumindest für mich, der nur vage von Freuds Schaffen wusste, einen guten und unterhaltsamen Einblick in kurzer Zeit verschafft. Daher kann ich diese Biografie nur sehr empfehlen.

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