Sibylle Berg - GRM


Sibylle Berg - GRM Brainfuck, Kiepenheuer & Witsch, veröffentlicht 11.04.2019, Seiten Print 640

Ein Buch wie ein Autounfall 
Also zu Beginn muss man gleich sagen, dass dieses Buch nichts für schwache Nerven ist. Ich musste während des Lesens manchmal aufhören, da die Beschreibungen doch sehr gewaltvoll, deprimierend und auch abstoßend sind. Dabei kamen mir Parallelen zu "American Psycho" von Bret Easton Ellis in den Sinn, vor allem der lakonische und zynische Schreibstil. Bei Sibylle Berg kommt noch teilweise schwarzer Humor mit hinzu. Warum das Buch wie ein Autounfall, also abstoßend und zugleich faszinierend ist, liegt vor allem daran, dass die Autorin zwischen diesen ganzen Beschreibungen doch ein großartiges Gespür für die heutige Gesellschaft besitzt und deshalb dieses Buch beim Lesen einen nicht mehr loslässt.

Wie sieht die Welt aus, wenn alles latent Negative in der Gegenwart eintreten würde? Das ist "GRM"!
Was wäre, wenn der Brexit stattgefunden hätte, Großbritannien in eine Rezession gerät, sich die bekannten gesellschaftlichen und staatlichen Institutionen auflösen, eine hohe Anzahl von Arbeitslosen die freie Zeit in virtuellen Welten verbringt und gleichzeitig durch die Vernetzung ein Überwachungsstaat entstanden ist, den die Menschen selbst freiwillig erschaffen haben? Wenn der Zusammenhalt zwischen den Menschen fast nicht mehr existiert, jeder als Egomane nur den eigenen Nutzen maximieren will und die Gesellschaft als Ganzes verwahrlost und sich sogar nicht mehr um die eigenen Kinder gekümmert wird und Missbrauch und Gewalt ständig präsent sind? Wenn der Klimawandel stark fortgeschritten ist, Algorithmen jeden Lebensbereich diktieren, es aber niemanden mehr stört? 

Wer davon eine Ahnung bekommen will, muss dieses Buch lesen. Sibylle Berg schafft es mit einem innovativen Buchverlauf (die Kapitel gehen fließend ineinander über und beginnen bei neuen Personen mit einem Kurzprofil, das die durch Algorithmen gesammelten Informationen darstellen sollen), mit vielen Einfällen, die in der Gegenwart, wenn sie sich nur ein wenig negativ entwickeln würde, wirklich eintreten könnten und diesen lakonischen, zynischen und mitleidlosen Beschreibungen über Gewalt, Sex, Drogen, Missbrauch und Verfall von einzelnen Personen und der Gesellschaft, dass man dieses Buch angeekelt und schockiert trotzdem nicht aus der Hand legen kann. 
Die Hauptgeschichte dreht sich um vier Jugendliche, die in dieser schrecklichen Umwelt aufwachsen und versuchen, sich nicht unterkriegen zu lassen. Sie verlassen die Kleinstadt Rochdale (so gut wie alle mittleren Städte sind zu Slums verkommen) um in London in einen bewaffneten Widerstand gegen das System einzutreten. In London ist der technische Fortschritt zwar am besten, doch die Bürger lassen sich durch Algorithmen und korrupte Politker entmündigen. Um die Leute bei Laune zu halten, wird ein Grundeinkommen eingeführt und durch ein digital vernetztes Bonussystem sollen die Menschen zu tugendhaften Verhalten erzogen werden.

Fazit
Man ist versucht, zu überlegen, ob diese schlechten Szenarien in Wirklichkeit eintreten könnten. Ich denke (und hoffe), dass die Autorin hier in einem Gedankenexperiment alles durch eine ausschließlich pessimistische und negative Betrachtungsweise in die schlimmst mögliche Situation gedreht hat und das in der Realität zumindest nicht in allen Bereichen diese katastrophalen Auswirkungen entstehen würden. Das Buch gibt aber auf jeden Fall viele Gedanken zum Nachdenken und sollte als Warnung betrachtet werden, dass der technische Fortschritt und der Ausverkauf von Grundwerten leicht zu einer negativen Entwicklung führen kann und die Gesellschaft doch fragiler ist, als wir annehmen. Aufgrund dieser sehr genauen Analyse unserer heutigen Gesellschaft ist dieses Buch trotz der grausamen Szenen lesenswert.












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